Die Wünsche, Träume und Gebete der MKD-Schüler*innen wurden erhört. Für ein Projekt zum Thema Wahrnehmung war es ihre Aufgabe, zu essen. Aber natürlich mit einem kleinen Twist, denn sich einfach zu seinen schulischen Erfolgen zu schlemmen, wäre auch viel zu schön gewesen.
Unser Professor stellte uns Schüler*innen der MKD damit vor eine kleine Herausforderung. Vor 20 Studierenden mit knurrenden Mägen lagen nun also 20 leere Blätter Papier und dazu Essen – soweit das Auge reicht. Die Aufgabe bestand darin, verschiedene Nahrungsmittel, die von süß bis sauer und von salzig bis bitter reichten, zu kosten, bewusst zu schmecken und den wahrgenommenen Geschmack schlussendlich auf einem Blatt Papier zu visualisieren. Eine kleine Entdeckungsreise durch Gaumenfreuden aller Art stand uns also bevor – klingt doch ganz gut. Und so hieß es: Augen zu, Mund auf und los geht’s!
Ziemlich schnell wurde klar, das war leichter gesagt als getan. Die erste Challenge, die es zu bewältigen galt, war in eine Chilischote oder ein Stück Ingwer zu beißen. Easy *hust* …und spicy! Next step: Volle Konzentration einzig und allein auf den Geschmack und ihn „richtig“ wahrnehmen. Hmm ok, check! Und nun sollte dieses komplexe Spektrum an Aromen und Empfindungen auch noch auf Papier gebracht werden. Also malten die MKD-Studierenden wild drauf los – ganz Profi-like mit selbst abgemischten Farben natürlich.
Die Endergebnisse waren… interessant, etwas skurril, teils überraschend, aber irgendwie erstaunlich nachvollziehbar. Unzählige bunte Farben und abstrakte Formen waren zu sehen, und dennoch konnte man bei der Betrachtung der Werke meist erahnen, was dabei gegessen und empfunden wurde, obwohl jede*r eine ganz eigene Art hatte, seine kulinarische Wahrnehmung auf Papier wiederzugeben. In einigen Bildern konnte man den feurigen, beißenden Schmerz, den der Verzehr eines Löffels voll Wasabi nach sich zieht, richtig mitfühlen. Bei anderen Farbkombinationen spürte man förmlich den fruchtig, lieblich süßen Geschmack von Honig. Am Ende fanden wir uns jedenfalls vor einer Wand mit 20 völlig verschiedenen Meister(-schul-)werken wieder, wie man sie sonst nur in abstrakt-expressionistischen Kunstausstellungen – oder vielleicht doch eher in Kindergärten – zu sehen bekommt.
Viele werden sich vielleicht fragen: „Warum?“ Zumindest haben wir uns diese Frage vor allem zu Beginn des Projekts gestellt. Die Ergebnisse und die Empfindungen, die diese wiederum bei den anderen auslösten, waren schließlich aber eine recht eindrückliche Antwort.
Zuallererst war es eine erfrischende Aufgabenstellung, sich wirklich bewusst auf einen Geschmack zu fokussieren. Angesichts des hektischen Alltagstreibens wird oft völlig darauf vergessen, sich zumindest ab und zu mal etwas Zeit zu nehmen, um etwas so richtig zu genießen. Mit diesem etwas ungewöhnlichen Projekt wurden wir aber genau dazu angehalten, für einen Moment alles andere auf Pause zu stellen, die Augen zu schließen und wirklich all unsere Aufmerksamkeit einer leider oft in den Hintergrund gedrängten, aber so selbstverständlichen und bereichernden Kleinigkeit wie dem Schmecken zu widmen.
Aber natürlich handelte es sich nicht nur um eine reine Achtsamkeitsübung, denn schließlich sind wir ja hier, um etwas für unsere künftige Berufspraxis zu lernen. Es ging vor allem auch darum, zu erkennen, dass manche Geschmacksrichtungen von uns ganz automatisch mit bestimmten Farben und Formen verbunden werden, sei es durch gelernte Muster oder einen Art Instinkt. Diese Kenntnisse sind für uns als angehende Grafikdesigner*innen essenziell, denn auch wenn man weiß, dass Milchprodukte gefühlsmäßig eher mit Farben wie Blau und Weiß verbunden werden, ist es doch noch um einiges eindrucksvoller, wenn man es selbst ganz bewusst „erschmecken“ und seine Designentscheidungen quasi auf einer eigenen Erfahrung aufbauen kann. Farben sprechen eine Sprache, die Worte nicht nachahmen können und sind somit vielleicht sogar der mächtigste Bestandteil von visueller Werbung. Sie geben nicht nur Aufschluss über die Produkteigenschaften, sondern suggerieren darüber hinaus noch viele weitere Markenattribute und Erwartungen, die anders nicht, oder zumindest nicht so intuitiv, vermittelt werden könnten, denn irgendwie verstehen die meisten Menschen, ohne viel nachzudenken, was welche Farbe bedeutet. Eigentlich unglaublich, wie einfach wir dahingehend funktionieren.
Was sich für uns anfangs zugegebenermaßen nach einem etwas skurrilen Zeitvertreib anhörte, entpuppte sich schließlich also tatsächlich als bereichernde und durchaus praxisrelevante Erfahrung, die uns bewusst machte, wie stark die beiden Sinne Sehen und Schmecken miteinander verbunden sind. Die nächste Stufe für uns wäre es dann wohl, Eigenschaften abseits des Geschmacks zu malen. Die Frage ist dann nur, welcher Sinn sich am besten dafür eignet, um beispielsweise Makeup, Elektrogeräte oder Autos als abstrakte Farbkompositionen zu malen… Naja, da ist uns Essen doch irgendwie noch am liebsten.
Beitrag von Michael Hofer